Schulterluxation im Röntgenbild: Vordere und hintere Luxation sicher unterscheiden
Die Schulter ist das beweglichste Gelenk des menschlichen Körpers – zugleich aber auch das am häufigsten luxierende. In der bildgebenden Diagnostik ist es essenziell, vordere und hintere Schulterluxationen im Röntgenbild sicher zu unterscheiden, da sie unterschiedliche Ursachen, Begleitverletzungen und Behandlungsstrategien aufweisen.
Ursachen der Schulterluxation
Vordere Schulterluxation (ca. 95 % aller Fälle):
Sturz auf den ausgestreckten Arm mit Außenrotation und Abduktion
Sportverletzungen (z. B. Rugby, Handball)
Traumatische Erstluxation bei jüngeren Patienten
Hintere Schulterluxation (ca. 2–5 %):
Krampfanfälle (epileptisch, elektrisch, metabolisch)
Stromunfall
Sturz auf den ausgestreckten Arm in Innenrotation
Selten traumatisch
Röntgenzeichen und Bildgebung
Vordere Luxation
Röntgenaufnahme (a.p.): Humeruskopf medial und unterhalb des Glenoids
„Leeres Glenoid“-Zeichen (das Glenoid erscheint „leer“)
Y-Aufnahme (axillär): Humeruskopf vor dem Glenoid
Hill-Sachs-Delle: Eindruckfraktur am posterolateralen Humeruskopf
Hintere Luxation
Röntgenaufnahme (a.p.): „Lichtscheinzeichen“ (overlap von Humeruskopf und Glenoid)
Typisch: Internrotierter Humerus („lightbulb sign“)
Y-Aufnahme (axillär oder transskapulär): Humeruskopf hinter dem Glenoid
Reverse Hill-Sachs-Läsion (McLaughlin): Impression am anteromedialen Humeruskopf
Klassifikation
Vordere Luxation
Rockwood-Klassifikation (Ergänzung zur Schädigung von Weichteilen und Instabilität)
Bankart-Läsion: Abriss des anteroinferioren Labrum glenoidale
Hill-Sachs-Delle: Knochenläsion am Humeruskopf (Ausmaß wichtig für Re-Luxationsrisiko)
Hintere Luxation
Neer-Klassifikation
Nach Zeit (akut < 3 Wochen, chronisch > 3 Wochen) und Begleitverletzungen
Einschätzung der Defektgröße an der Gelenkfläche wichtig für operative Planung
Differenzierung im Röntgenbild – worauf achten?
Merkmal | Vordere Luxation | Hintere Luxation |
---|---|---|
Häufigkeit | Sehr häufig (~95 %) | Selten (~2–5 %) |
Armstellung | Abduktion + Außenrotation | Adduktion + Innenrotation |
Humeruskopf im a.p.-Bild | Medial-unterhalb des Glenoids | Rund, zentriert wirkend (lightbulb) |
Spezialaufnahme | Axial oder Y-Aufnahme essenziell | Axial oder transskapulär notwendig |
Frakturen | Hill-Sachs, Tuberkulum majus | Reverse Hill-Sachs (McLaughlin-Läsion) |
Fazit
Die Schulterluxation im Röntgenbild erfordert eine systematische Analyse der Projektionen und klinischen Begleitumstände. Während vordere Luxationen häufig und gut erkennbar sind, werden hintere oft übersehen – mit erheblichen therapeutischen Konsequenzen. Axiale Aufnahmen und das Erkennen typischer Zeichen wie des „lightbulb sign“ oder der Hill-Sachs-Delle sind entscheidend.
Literatur und Quellen
Rockwood & Matsen: The Shoulder, Elsevier, 2017
Matsen, FA et al.: Glenohumeral Instability. J Bone Joint Surg Am. 1990
Neer, CS: Posterior dislocations of the shoulder, J Bone Joint Surg Am, 1955
Bartoníček, J et al.: Posterior shoulder dislocation. International Orthopaedics, 2015
Adler, RS et al.: Essentials of Musculoskeletal Imaging, McGraw-Hill Education, 2019