Insuffizienzfraktur oder Osteonekrose?
Einleitung
Patient:innen mit akuten, nicht-traumatischen Knochenschmerzen – etwa in der Hüfte oder im Knie – stellen eine diagnostische Herausforderung dar. Zwei wichtige Differenzialdiagnosen sind die idiopathische transitorische Insuffizienzfraktur und die Osteonekrose. Beide betreffen häufig den subchondralen Knochen, unterscheiden sich jedoch in Ursache, Verlauf und Bildgebung erheblich. Dieser Beitrag erklärt die wichtigsten Unterschiede in Röntgen und MRT, zeigt klassische Klassifikationen auf und erläutert das Kontrastmittelverhalten in der MRT.
1. Was ist eine Insuffizienzfraktur?
Die idiopathische transitorische Insuffizienzfraktur ist eine Form der Stressfraktur, meist ohne relevantes Trauma. Sie tritt bevorzugt bei Männern mittleren Alters oder bei Schwangeren auf. Klinisch zeigen sich plötzlich einsetzende Schmerzen. Die Erkrankung ist selbstlimitierend.
2. Was ist eine Osteonekrose?
Die Osteonekrose (avaskuläre Nekrose, AVN) ist die Folge einer Durchblutungsstörung des Knochens, gefolgt von Zelluntergang und strukturellem Kollaps. Sie verläuft schleichend und kann unbehandelt zu Gelenkzerstörung führen. Risikofaktoren sind u. a. Kortison, Alkohol, Sichelzellanämie und Trauma.
3. Unterschiede im Röntgenbild
Merkmal | Insuffizienzfraktur | Osteonekrose |
---|---|---|
Frühes Stadium | Meist unauffällig | Meist unauffällig |
Spätes Stadium | Unscharfe osteoporotische Zonen, evtl. subchondrale Frakturlinie | Subchondraler Kollaps, „Crescent sign“, Gelenkspaltverschmälerung, Arthrosezeichen |
4. MRT-Unterscheidung
Das MRT ist das sensibelste Verfahren zur Differenzierung. Die wichtigsten Merkmale:
Insuffizienzfraktur:
Diffuses Knochenmarködem in T1 (↓) und T2/STIR (↑)
Keine klare Begrenzung
Keine „serpentinenförmige“ Demarkationslinie
Evtl. subchondrale Frakturlinie
Kontrastmittelaufnahme: homogen oder diffus erhöht, kein peripherer Randsaum
Osteonekrose:
Zentrale Signalverarmung (T1 ↓), umgeben von reaktiver Zone (Doppellinienzeichen in T2)
Klassisches „double line sign“
Klar begrenzte Nekrosezone
Subchondraler „Crescent sign“
Kontrastmittelaufnahme: Randbetonte Enhancement-Zone („peripheral rim enhancement“), Zentrum bleibt avaskulär
5. Klassifikationen der Osteonekrose
a) Ficat & Arlet-Klassifikation (für Hüftkopfnekrosen):
Stadium | Beschreibung | Röntgen | MRT |
---|---|---|---|
0 | Präklinkal | – | Ödemzone sichtbar |
I | Frühsymptomatisch | Normal | Ödem, Signalveränderungen |
II | Strukturelle Veränderungen ohne Kollaps | Sklerose, Zysten | Nekrosezone mit Randlinie |
III | Kollaps („Crescent sign“) | Subchondrale Fraktur | Klarer Defekt |
IV | Sekundäre Arthrose | Gelenkspaltverschmälerung | Degeneration |
b) ARCO-Klassifikation
Ergänzt Ficat & Arlet um CT und Szintigrafie; detaillierter für Studienzwecke.
Strukturierte Gegenüberstellung:
Merkmal | Idiopathische transitorische Insuffizienzfraktur (ITIF) / Transientes Knochenmarködem | Osteonekrose (ON) / Avaskuläre Nekrose |
---|---|---|
Ätiologie | Unklar, wahrscheinlich multifaktoriell (z. B. Mikrotrauma, Belastungssteigerung); keine Gefäßunterbrechung | Durchblutungsstörung mit ischämischer Nekrose des Knochens |
Risikofaktoren | Meist Männer mittleren Alters, seltener bei Frauen im letzten Schwangerschaftsdrittel (v. a. Hüfte); idiopathisch | Kortisontherapie, Alkoholabusus, Sichelzellanämie, Trauma, Tauchunfälle, Strahlung |
Klinik | Plötzlicher, belastungsabhängiger Schmerz; meist monosegmental; keine systemischen Symptome | Zunehmender Schmerz, anfangs nur bei Belastung, später auch in Ruhe; oft bilaterale Beteiligung |
Verlauf | Selbstlimitierend (Wochen bis Monate); vollständige Remission | Progredient; Risiko für Gelenkdestruktion und Arthrose |
MRT-Befund | Diffuses Knochenmarködem (T1 ↓, T2/STIR ↑), keine klare Abgrenzung, keine subchondrale Frakturlinie | Initial Knochenmarködem, später subchondrale Frakturlinie („Crescent sign“), serpentinenförmige Begrenzung der Nekrose, Demarkation |
Röntgen | Anfangs normal; später ggf. osteoporotisches Bild | In frühen Stadien unauffällig, später subchondrale Einbrüche, Kollaps, Sekundärarthrose |
Therapie | Konservativ: Entlastung, Schmerztherapie, Verlaufskontrolle | Je nach Stadium konservativ bis operativ: Entlastung, Core Decompression, Prothese |
Prognose | Gut, heilt vollständig ab | Häufig progredient, schlechte Prognose ohne Behandlung |
Merksätze:
ITIF: „kommt plötzlich, heilt von selbst“ – reversibel.
ON: „kommt schleichend, zerstört das Gelenk“ – irreversibel ohne Intervention.
6. Zusammenfassung: Entscheidende Unterschiede
Merkmal | Insuffizienzfraktur | Osteonekrose |
---|---|---|
Ursache | Mechanische Überlastung | Ischämie |
Verlauf | Selbstlimitierend | Progredient |
Bildgebung (MRT) | Diffuses Knochenmarködem | Umschriebene Nekrosezone |
Kontrastmittel | Diffus/homogenes Enhancement | Peripheres Enhancement, avaskuläres Zentrum |
Therapie | Entlastung, konservativ | Stadiumabhängig, ggf. OP |
Fazit:
Die Unterscheidung zwischen einer Insuffizienzfraktur und einer Osteonekrose ist entscheidend für die Prognose. Während die Insuffizienzfraktur häufig folgenlos ausheilt, kann die Osteonekrose ohne Therapie zur Gelenkdestruktion führen. MRT mit Kontrastmittel ist das wichtigste diagnostische Tool zur sicheren Differenzierung.